Von Mareen Ostkotte - Die Glocke vom 11.06.204
Zehntklässler der Osterrath-Realschule berichten von ihrer Studienfahrt nach Krakau und von ihren Eindrücken vom KZ Auschwitz.
Haben die Erlebnisse der Studienreise nach Krakau gemeinsam mit den weiteren Teilnehmern in einer umfassenden Präsentation aufgearbeitet: (v. l.) AG-Leiterin Inke Wachter und die Schüler Nico Micale, Mika Hergenröther, Zuzanna Dworczak und Noah Yavz. Foto: Ostkotte
Rheda-Wiedenbrück (mo) - „Das ist etwas, bei dem man wirklich nicht weggucken darf, auch, wenn das Hingucken schmerzhaft ist“, sagt Nico Micale. Gemeint ist damit die Zeit unter den Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 und damit einhergehend ihre Schreckensherrschaft in den vielen Konzentrationslagern (KZ) – unter anderem im polnischen Auschwitz.
Geschichtsunterricht zum Anfassen
Der Schüler der Wiedenbrücker Osterrath-Realschule ist jüngst von einer Reise nach Krakau und zum KZ Auschwitz-Birkenau zurückgekommen, die er im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft (AG) „Gegen das Vergessen“ gemeinsam mit mehr als 30 weiteren Schülern der Klassen zehn und einem Lehrer-Team rund um Organisatorin Inke Wachter unternommen hat. Über das gesamte Schuljahr wurde sich im Rahmen der AG mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus beschäftigt. Dennoch: „Es ist etwas ganz anderes, einen Ort zu besuchen, an dem diese dunkle Zeit einem so richtig vor Augen geführt wird“, macht Micale während einer Präsentation über die Reise deutlich. Eine knappe Woche lang war die Gruppe im Krakauer Stadtgebiet und der Umgebung unterwegs.
Doch die ersten historischen Eindrücke wurden bereits bei einem kurzen Aufenthalt im Osten Berlins gesammelt. „Dort haben wir das letzte zusammenhängende Stück der ehemaligen Mauer angeschaut. Auch bekannt als die East-Side-Gallery“, sagt Inke Wachter, die die AG und die dazugehörige Reise seit mittlerweile zehn Jahren leitet. Von dort ging es weiter nach Krakau – mitten in die Altstadt mit ihrem Mix aus historischen und modernen Gebäuden und Sehenswürdigkeiten wie den Tuchhallen. Denn obgleich der Anlass der Reise ein anderer war, sollte das Schöne nicht in Gänze vergessen werden. Doch ein Großteil der Studienfahrt war Geschichtsunterricht zum Anfassen. So bahnte sich die Gruppe ihren Weg von der Altstadt in das Jüdische Viertel, das vor Beginn des Zweiten Weltkriegs florierte und rund 65 000 polnische Juden beheimatete. „Es war uns auch möglich, ein kleines bisschen vom jüdischen Leben mitzubekommen“, erzählt Inke Wachter. Von dort ging es weiter in das einstige Ghetto, in welches die Juden zur Zeit des NS-Regimes vertrieben wurden. Auch die ehemalige Emaillefirma Oskar Schindlers, die seit 2010 als Museum genutzt wird, wurde besucht. „Sehenswert, lehrreich und zum Nachdenken anregend“, beschreiben die Schüler die Erfahrungen.
Im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau haben sich die Schüler unter anderem auch die Todeswand angeschaut, an der Tausende hingerichtet wurden. Foto: Wachter
Eindrücke, die kein Film vermitteln kann
Die letzte Station der Reise war der Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, die 1941 als Erweiterung des KZ Auschwitz errichtet wurde. 180 Hektar umfasst das Areal, auf dem laut Plan Platz für rund 200 000 Häftlinge war. „Es ist ein bedrückendes Gefühl dort zu sein“, sagt Schülerin Zuzanna Dworczak. „Vor allem die Räume, in denen die persönlichen Gegenstände wie beispielsweise Brillen gezeigt werden – aufgetürmt auf einem riesigen Haufen.“ Ein Schauer sei ihr außerdem bei einem weiteren Raum über den Rücken gelaufen, in dem die abrasierten Haare der ehemaligen KZ-Häftlinge gezeigt werden. „Das war sehr schlimm anzusehen“, erinnert sie sich.
Wichtiger Bestandteil der Studienreise war außerdem das Gespräch mit dem Zeitzeugen Jacek Ormicki, der den Schülern die Geschichte seines Vaters näher brachte. Eine Erfahrung, die durch keine Unterrichtsstunde oder filmische Ausarbeitungen zu dem Thema ersetzt werden könne. Und eine, die nur noch für begrenzte Zeit zur Verfügung stehe, wie Organisatorin Inke Wachter betont. „In fünf bis zehn Jahren kann ich vermutlich keinem Schüler mehr diese Gelegenheit bieten.“ Um die Eindrücke aufzuarbeiten und um die Eltern, weitere Schüler und die Lehrer das Gesehene miterleben zu lassen, sei die Präsentation der Reise im Anschluss eine bewährte Methode, sagt Inke Wachter.
„Wir lernen nicht aus der Vergangenheit“
Primo Levi, ehemaliger Auschwitz-Häftling, sagte einst: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Ein Zitat, dass auch Lehrerin Inke Wachter zum Abschluss der Präsentation der Reise bemüht. „Es ist an uns allen, ihm das Gegenteil zu beweisen und dazu beizutragen, dass sowas nicht nochmal passiert“, appelliert sie. „Wenn wir Phrasen wie ‚die gegen wir‘ oder ‚ich habe nichts gegen die, aber‘ hören, muss eine rote Lampe in unseren Köpfen angehen.“ Eine Aufforderung, der sich Bürgermeister Theo Mettenborg – der im übrigen erstmalig eine Präsentation der Studienfahrt der Zehntklässler der Osterrath-Realschule besucht hat – nur unterschreiben kann. „Jeder sollte für Gerechtigkeit eintreten, sie ist die Grundlage unserer Gesellschaft“, sagt Mettenborg. „Gerade jetzt gegen das Vergessen einzutreten hat dabei noch eine besondere Kraft.“ Immerhin liegen die jüngsten Wahlerfolge einer zumindest in Teilen gesichert rechtsextremen Partei erst wenige Tage zurück.
Beim Besuch des Jüdischen Viertels in Krakau hielt die Gruppe auch an diesem Denkmal. Foto: Kilic
Eine Entwicklung, die auch bei den AG-Teilnehmern Nachdenklichkeit und Unmut hervorruft – vielleicht verstärkt durch die noch frischen Eindrücke aus Auschwitz-Birkenau. „Wir lernen einfach nicht aus der Vergangenheit“, sagt Schülerin Zuzanna Dworczak. Dabei sei Geschichte doch genau dafür da: Um aus ihr zu lernen. Denn dass es nur einen Menschen mit einer Idee brauche, um viele weitere mitzuziehen, das zeige der Holocaust sehr deutlich, findet Mika Hergenröther. „Jeder sollte sich eine solche Gedenkstätte angucken – so lange es noch geht.“ Angesichts der Wahlergebnisse sei man sich nämlich nicht so sicher, wie der politische Diskurs zukünftig verlaufe und ob die Erinnerungskultur in ihrer jetzigen Form dann noch Bestand habe. Besonders alarmierend: „Wie viele Jugendliche die AfD gewählt haben, obwohl sie keine Ahnung haben von den Inhalten der Partei“, sagt Noah Yavz entrüstet. „Man muss sich doch vorher vernünftig informieren.“ Auch für Mika Hergenröther steht fest: „Nur aus Protest diese Partei zu wählen, ergibt keinen Sinn.“ Da gebe es andere Möglichkeiten. Nico Micale zeigt sich aber auch über einen anderen Umstand besorgt: die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. „Es kämpfen Menschen gegen Menschen. Es gibt kein geradeaus mehr, nur noch links oder rechts.“ Das hält der Realschüler nicht für den richtigen Weg.